Diese hervorragend geschriebene Schilderung der Kuruzzenattacke von 1706 auf Zistersdorf wurde von Herrn Günter Ofner verfasst und wir dürfen sie mit freundlicher Genehmigung hier veröffentlichen.
Zistersdorf ist eine kleine Stadt im niederösterreichischen Weinviertel.
Heute kennt man es meistens nur in Verbindung mit den einzigen Erdölfunden in Österreich, die 1930 entdeckt wurden und seit 1934 ausgebeutet werden. Dabei ist es eine der ältesten Städte des Weinviertels und war bis ins 18. Jahrhundert hinein auch eine der bedeutendsten. Es wurde schon 1160 erstmals erwähnt, um 1250 von den damaligen Stadtherrn den Kuenringern mit einer Mauer umgeben und 1284 zur Stadt erhoben.
Zistersdorf ist vom Schicksal häufig gebeutelt worden. Kriegsscharen aus Mähren fielen immer wieder ein, im 15. Jht. kamen die Hussiten und im 30jährigen Krieg (1645) besetzte und plünderte eine schwedische Armee die Stadt. 1664 und 1683 plünderten und verwüsteten türkische und aufständische ungarische Truppen die Umgebung. 1645, 1654, 1679 und 1713 wütete die Pest usw.
Aber alles das war gering gegen die Katastrophe des Jahres 1706. Mit dem Sieg vor Wien 1683, dem entscheidenden Sieg bei Zenta 1697 durch Prinz Eugen und dem nachfolgenden Friedensschluß von Karlowitz 1699 war die Türkengefahr für Niederösterreich vorüber. Sicher, es folgten im 18. Jahrhundert drei weitere Türkenkriege Österreichs, aber die spielten sich weit weg im südlichen Ungarn ab. Nach 1683 kam keine osmanische Armee mehr Niederösterreich nahe, geschweige denn ins Land.
Aber der Bürgerkrieg in Ungarn flammte ab 1703 immer wieder auf. Mitgründe dafür waren die radikale Durchführung der Gegenreformation durch habsburgische Beamte und Offiziere und die hohe Steuerbelastung zur Finanzierung der Türkenkriege. Unzufriedene Magnaten stellten wieder Armeen, Kuruzzen (Kreuzfahrer) genannt, auf, griffen die habsburgischen Truppen und Festungen an, überschritten ab 1704 mehrmals auch die Grenze zu Niederösterreich und überfielen und plünderten die grenznahen Orte des niederösterreichischen Wein- und Industrieviertels und des südöstlichen Mährens.
Deckenfresko von Prof. Hans Wulz – Der Kuruzzenführer Graf Simon Forgatsch, hoch zu Ross, blickt auf Pater Tiburtius, der ihn mit erhobenem Kuzifix anfleht, die Greueltaten zu beenden und wenigstens die um ihn sich drängenden Frauen und Kinder zu verschonen.
So geschah das auch im Jahr 1706. Österreich kämpfte seit dem Jahr 1700 in Spanien und Italien gegen Frankreich um das Erbe der spanischen Habsburger. Das band die meisten habsburgischen Truppen. Und ausgerechnet in dieser Situation wechselte der kaiserliche Husaren-Oberst Graf Simon Forgatsch (Forgács) die Seiten und schlug sich auf die Seite des Kuruzzen-Anführers Franz Rakoczy (ung. Ferenc II. Rákóczy). Der hatte im Nordosten Ungarns einige militärische Erfolge erzielt, dort ein größeres Gebiet erobert und seine Scharen fielen auch immer wieder bis nach Niederösterreich ein. 1704 hatte man, auf Anraten Prinz Eugens, in nur 4 Monaten den 13,5 km langen Linienwall um Wien herumum gebaut, um die Vorstädte vor den Kuruzzen zu beschützen. Auch an der Marchgrenze hatte man eine schwache Verteidigungslinie (Kuruzzen-Schanzen) errichtet.
Forgatsch erhielt im Herbst 1706 von Rakoczy den Auftrag Preßburg anzugreifen. Er marschierte dann aber am 16. Oktober gemeinsam mit dem Abenteurer Láczló Oczkay und dessen Scharen vom Malazka (slowak. Malacky, ungar. Malacka) und Großschützen (slowak. Veľké Leváre/Velké Leváry, ung. Nagylévárd) aus mit seiner Armee von 12.000 Mann, je zur Hälfte Husaren und Talpatschen (Fußsoldaten), nach Westen, überschritt zwischen Dürnkrut und Jedenspeigen die Marchgrenze nach Niederösterreich und überrannte die Schanzen der schwachen kaiserlichen Verteidigungslinie.
Der Kommandant der kaiserlichen Truppen im Weinviertel Oberst Johann Heinrich Bartl zog sich am selben Tag mit seinen fünf Kompanien aus Zistersdorf nach Niederabsdorf zurück. Am Abend des selben Tages erschien diese Kuruzzen-Armee, ca. 8.000 – 9.000 Mann stark vor der Stadt Zistersdorf, die etwa 10 km westlich der March liegt. Der Rest der Aufständischen brandschatzte inzwischen Jedenspeigen, Sierndorf, Großinzersdorf, Gösting, Windisch Baumgarten, Prinzendorf, Pullendorf und Maustrenk und erschlug die Zivilisten, die das Pech hatten ihnen in die Hände zu fallen.
Zistersdorfs Befestigungen waren zwar intakt, aber nicht sehr stark, Bürgermeister Johann Aegid Mundt hatte sie seit 1703 ausbessern lassen. Die Stadtmauer war einen Meter dick, hatte eine Innenhöhe von 9 Metern, eine Außenhöhe von 14-18 Metern, 4 Ecktürme und 2 befestigte Stadttore. In der Stadt mit ihren rund 170 Häusern lagen aber lediglich 150 kaiserliche Kürassiere (schwere Reiter) und 100 landständische Dragoner. Viele Landleute waren in die Stadt geflüchtet. Der Kommandant Rittmeister Gottfried Anton Lohner, der erst kurz davor in die Stadt geschickt worden war, befahl die Verteidigung, schickte die Soldaten, rund 300 waffenfähige Bürger und 200-300 Flüchtlinge an die Mauern und lehnte eine Kapitulation ab. Die Vorstädte und den Alten Markt vor den Mauern hatte man kampflos aufgegeben.
Man hoffte wohl, Forgatsch werde sich bei entschlossener Gegenwehr andere, leichtere Opfer suchen. Aber man sollten sich täuschen.
Die bunt zusammengewürfelten Kuruzzenhaufen, sie bestanden aus Ungarn, Slowaken, Ruthenen, Deutschen usw., vermuteten gute Beute in der Stadt und bestürmten sie seit den Morgenstunden des 17. Oktober. Forgatsch ließ die Stadt in Brand schießen, eine Häuserzeile beim unteren Tor brannte gegen Mittag so intensiv, dass sich die Verteidiger dort zurückziehen mussten. Daraufhin brachen Talpatschen, Fußtruppen der Kuruzzen, die Schießscharten dort aus, schlüpften durch, räumten das verbarrikardierte und verschüttete Stadttor frei und öffneten es. Damit stand der Feind in der Stadt.
Die überlebenden Soldaten zogen sich daraufhin in das Althan-Schloss, das in der Stadt lag, zurück und boten die ehrenvolle Kapitulation an. Währenddessen versuchten die Bürger und Flüchtlinge verzweifelt die Kuruzzen doch noch aufzuhalten. Aber das war hoffnungslos, die Feinde überrannten alle Barrikaden und Wagenburgen und fingen an zu plündern. Ein Teil der Zistersdorfer flüchtete daraufhin ins Franziskanerkloster, in der Hoffnung dort zu überleben. Der Pater Guardian (Obere) Tiburtius Posch stellte sich, ein großes Kruzifix hochhaltend, vor die Flüchtlinge und erhält die Zusage von Gnade für die Schutzsuchenden, falls die Aufständischen genug Beute erhalten. Diese drangen dann doch gewaltsam ein, plündern das Kloster und die Klosterkirche, zerstören systematisch alle Fenster und Türen und alles Inventar und ermorden auch im Kloster Zivilisten.
Die Stadtpfarrkirche und alte Wallfahrtskirche ‚Maria am Moos‘ außerhalb der Stadtmauer wurde dagegen verschont.
Bürgermeister Johann Steineck stellt hier beim Kuruzzenfest am 7. Oktober 1956 den Kuruzzenführer Simon Forgatsch dar.
Die Kapitulation der Soldaten, Bürger und Flüchtlinge im Schloss kam nicht zustande, nach tapferer Gegenwehr strecken sie nach einer Täuschung die Waffen. Die Soldaten wurden ins Lager der Belagerer abgeführt und buchstäblich in Stücke gehackt. Viele überlebende Zivilisten im Schloss und auf dem Hauptplatz, Männer, Frauen und Kinder wurden gleich dort erschlagen, „jämmerlich niedergehauet“ – ein blutiges Gemetzel. Auch im Spital der Stadt, das war damals ein Altersheim, wurden die Insassen ermordet, die paar Habseligkeiten geraubt und das Inventar zerschlagen.
Die restliche überlebende Zivilbevölkerung wurde ins Lager vor die Stadt verschleppt. Pater Posch zog mit seinen Priestern hinaus um sie freizubitten. Aber der Graf gab ihm nur die 400 Frauen und Kinder frei, mit denen die Franziskaner in die rauchende Trümmerwüste Zistersdorfs zurückkehren. Als die Kuruzzen am Abend des 17. Oktober in Richtung Dürnkrut weiterzogen führen sie die gefangenen Männer mit. Noch am selben Abend ließ Forgatsch fast alle erschlagen – 150 weitere Opfer.
Das Sterbebuch von Zistersdorf weist für diesen Sonntag 211 Tote auf. Die toten Flüchtlinge, deren Namen man nicht kannte, sind hier nicht enthalten und die 150 gefallenen oder als Gefangene ermordeten Kürassiere und die 86 toten Dragoner ebenfalls nicht. Insgesamt sind an diesem Tag wohl 600 – 800 Bürger, Bauern und Soldaten ums Leben gekommen. Als sie am 18. Oktober wieder an der March standen hatten die Kuruzzen nur mehr wenige Gefangene bei sich, einige Offiziere, Bürger und Flüchtlinge, für deren Freilassung sie sich Lösegeld erhoffen.
Rittmeister Lohner, er war von seinen Soldaten abgeschnitten worden, der Schlossverwalter Emmerich J. Paulmayer, der Pfarrvikar, der Spitalsverwalter Matthias Ferdinand Frey, der Bürgermeister Mundt und einige weitere Bürger überleben, versteckt in den weitläufigen Kellern und Erdställen unter dem Schlossplatz das Gemetzel. Auch der Bader überlebte und berichtete vom Gemetzel.
Der Schulmeister war über die March verschleppt worden und konnte nach einigen Tagen mit einigen Zistersdorfer Frauen und einem Knaben zurückkehren. Er berichtete, dass die Kuruzzen der Raubzug 400 Tote und Verwundete gekostet hatte – einer hoher Preis, der zeigt, dass sich die Zistersdorfer tapfer, aber letztlich erfolglos gewehrt hatten.
Mehr als die Hälfte der Bürger waren tot. Ein schrecklicher Schlag für die zerstörte, geplünderte und niedergebrannte Stadt, der nun auch noch der Winter bevorstand. Zistersdorf hat sich von dieser Tragödie lange nicht erholt. 1713 wütete wieder die Pest, 1805 und 1809 kamen die Franzosen und 1866 die Preußen, die auch noch die Cholera einschleppten. 1945 war Zistersdorf, wegen der Erdölfelder, besonders umkämpft.
Die Zerstörung der friedlichen Landstadt und das Massaker unter der Bevölkerung hatte Folgen. Nicht nur in Österreich war die Empörung groß. Auch die evangelischen Reichsterritorien (Sachsen, Preußen, Württemberg usw.) und Staaten (Niederlande, Dänemark, Schweden usw.), die bis dahin mit den aufständischen ungarischen Rebellen sympathisiert hatten und ihnen ebenso wie Frankreich über Polen Waffen und Geld zu kommen haben lassen, reagierten mit Abscheu.
Krieg, ja der war akzeptiert, auch Plünderungen und Brandschatzungen der Besitzungen des Gegners. Aber derartige Massaker an gefangenen Zivilisten waren verpönt. Das zwang dann auch Rakoszy zu handeln. Er ließ Forgatsch festnehmen und vier Jahre lang gefangensetzen, vorgeblich weil er seinen Befehl Preßburg zu erobern missachtet hatte.
Danach, die Kuruzzenkriege gingen zu Ende, floh Forgatsch nach Polen, dann ins Osmanische Reich, dann wieder nach Polen, wo er 1729 starb.
Oczkay wurde 1710 von einem Kommando der Kuruzzen hingerichtet, als er versuchte die Seiten zu wechseln. Die Kuruzzenaufstände gingen zu Ende und eine 100-jährige Friedensperiode für das Weinviertel brach an. Die Tragödie des Jahres 1706 ist heute in Österreich vergessen, nur in Zistersdorf selbst feiert man alle 50 Jahre ein „Kuruzzenfest“ zur Erinnerung an den schlimmsten Tag, den die Stadt jemals erlebt hat.